Council – Brückenbauer in der Kommunikation

„Ich weiß nicht, was in den Köpfen der Leute vorgeht, die andere
nur aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihrer ethnischen Zugehörigkeit nicht mögen. (…)
Wir sind alle Menschen. Wir haben verschiedene Hautfarben, Sprachen und Lebensweisen.
Aber ich fühle, was du fühlst.“
Tainaky Tenetehar, Angehöriger der Guajajára, Brasilien
„Wenn wir Jemanden respektieren, dann hören wir zu. Wenn wir zuhören, dann verstehen wir.
Und wenn wir verstehen, dann lieben wir.“
Manitonquat, Angehöriger der Assonet-Wampanoag, Nordamerika
Verantwortungsbewusste und gerechte Gemeinschaften entstehen aus starken, lebendigen Beziehungen. Sie sorgen für Wohlbefinden, Verbundenheit und sind eine gute Basis, um auch bei schwierigen Themen die Wertschätzung füreinander nicht aus den Augen zu verlieren.
Solche tragfähigen Beziehungen beruhen auf einem respektvollen Umgehen miteinander und einer klaren und herzlichen Kommunikation. Sie entwickelt sich Schritt für Schritt im regelmäßigen Austausch miteinander.
Ein kraftvoller Begleiter kann dabei das Council sein.
Was Council ist
Council heißt übersetzt „zu-Rate-sitzen“ und ist ein echter Brückenbauer für gute und von Toleranz geprägte Begegnungen. Im Geiste eines Councils im Kreis zusammen zu sein heißt, sich mitzuteilen, in Kontakt zu treten, gesehen und gehört zu werden. Es ist eine hierarchie- und dogmenfreie Kommunikationsform, die konsensorientierte Entscheidungen und Prozesse unterstützt.
Seine Essenzen
- Eine respektvolle Grundhaltung
- Ein (innerer) Raum jenseits von richtig und falsch, also ohne Bewertung und Vorurteile
- Die transformative Kraft des Zuhörens und Sprechens von Herzen
Die Stärke des Councils liegt in seiner Einfachheit und der direkten Erfahrung.
Das Fundament – Respekt
Respekt als Grundvereinbarung für Vertrauen
Respekt ist der Boden, auf dem ein Council ruht. Das bedeutet, dass ich mich bereit erkläre, in einem Council auf eine Weise zu sprechen und zuzuhören, mit der ich den Anderen weder angreife noch verurteile oder analysiere und Verantwortung dafür übernehme, eigene Muster nicht an dem Anderen auszuleben. Das schafft einen sicheren Boden, auf dem Vertrauen und das Gefühl der Akzeptanz wachsen. Das brauchen wir, um uns öffnen zu können und Übereinstimmungen wie Differenzen und Verschiedenheiten sichtbar werden zu lassen.
Jede Stimme zählt
Die Grundannahme ist, das jede Stimme gleichermaßen wichtig ist und jede Stimme etwas beizutragen hat, das von Niemand anderem gesagt werden kann. Auch das ist ein Anlass, demjenigen, der spricht und damit auch ein Stück von sich zeigt und sich berührbar macht, aufmerksam zuzuhören und dadurch unseren Respekt auszudrücken, den wir alle benötigen.
Die tragenden Säulen
Die Säulen tragen dazu bei, basierend auf dem Respekt, einen Schritt weiter zu gehen und die Kräfte zu bündeln für ein konzentriertes, ausgerichtetes und kraftvolles Feld, das Klarheit und Geborgenheit gibt und ein ehrliches, herzliches und authentisches Miteinander unterstützt.
Die Form des Kreises
Der Kreis ist der äußere Rahmen des Councils und die erste Säule. In einem Kreis kann Jeder den Anderen gleich gut sehen und alle befinden sich auf derselben Ebene. Das schafft Transparenz und es fällt uns leichter, uns zu öffnen. Zudem kann in einem Kreis die Energie bestmöglichst fließen.
Auch rein physikalisch erwächst aus ihm die stärkste Kraft:
Von dem Lauf der Planetenbahnen über die Lebenszyklen in Natur und Menschenleben bis zur vollkommenen Kugelform eines Regentropfens – die Kreisförmigkeit entspricht dem natürlichen Urprinzip allen Lebens. Vielleicht fühlt es sich deshalb so natürlich an, im Kreis zu sitzen.
Der Redestab
Die Anwendung eines Redestabs oder Redegegenstandes macht sichtbar, wer gerade spricht und fokussiert unsere Aufmerksamkeit.
Ein bewusst gestalteter Beginn und Abschluss
Das zentriert die Kraft und setzt Grenzen zum Alltagsgeschehen.
Eine klare inhaltliche Ausrichtung
Sie orientiert sich an dem Alter, dem Maß des Vertrauens zueinander, den Ausdrucksmöglichkeiten der Gruppe und dem aktuellen Bedarf und unterstützt klare und kraftvolle Beiträge der Teilnehmer.
Die Vereinbarung der Vertraulichkeit
Das heißt: Im Council Gesprochenes wird nur nach Absprache hinausgetragen, bzw. wenn Handlungsbedarf besteht. Sie gibt dem Kreis neben der respektvollen Grundhaltung einen sicheren Rahmen.
Eine dienende Leitung
Die/ der Leitende ist wie alle anderen ein(e) TeilnehmerIn und hält zugleich das Feld des Kreises, bestärkt, unterstützt und fördert, wo es sinnvoll ist. Es ist eher eine dienende Rolle als eine übergeordnete, außenstehende Position. Zu dienen heißt, Verantwortung zu übernehmen und zugleich um den Prozess und die Kompetenz jedes Einzelnen zu wissen und dem zu vertrauen. Es heißt, anzuerkennen, dass jeder Mensch seinen individuellen Lernprozess und Weg hat und jede und jeder darin der Leitende ist.
In einem Council entwickelt sich die wahre Führung also aus dem Kreis heraus und aus dem Zusammenspiel aller Faktoren.
Bei regelmäßigen Kreisen und längeren Prozessen ist es sinnvoll, einen Kreis zu zweit zu leiten, möglichst eine Frau und ein Mann, und Schritt für Schritt die anderen Teilnehmer an die gemeinsame Verantwortung heranzuführen.
Für besondere Situationen
Ergänzende Councilformen
Für besondere Situationen wie eine Konflikterforschung oder eine Entscheidungsfindung, bei großen Gruppen oder schwierigen Themen gibt es weitere Council-Formen wie das Netz, der Doppelkreis (Fishbowl) oder die Spirale, die das jeweilige Anliegen bestmöglich unterstützen.
Die Stimme der Natur
Das „Council aller Wesenheiten“ lädt auch die Stimme der Natur in den Kreis ein und es ist eine intensive Erfahrung, im Namen von Aspekten von ihr zu sprechen.
Die Funktion des Zeugen
Eine wertvolle Rolle ist auch die des so genannten Zeugen, der schweigend und beobachtend während eines Prozesses teilnimmt. Dessen Wahrnehmungen können aus der Position eines präsenten, doch nicht involvierten Beobachters hilfreiche, übergeordnete Hinweise geben.
Was einen Kreis zum Council macht:
Zuhören von Herzen
Der Schlüssel zu dem Raum „jenseits von richtig und falsch“, der innere Schatz, durch den sich Tiefe und Kraft des Councils entfalten, ist eine besondere Praxis des Zuhörens: aufmerksam, aus dem Herzen, ohne zu bewerten, zu vergleichen oder zu analysieren.
Verschieden und gleichwertig
Auf diese Weise gehört zu werden, ist etwas außerordentlich Kraftvolles und Heilsames und für alle eine besondere Erfahrung. Es macht Mut, sich zu zeigen, und lässt in der Tat neue Räume und tiefere Einsichten entstehen, die wir mit in unsere Beziehungen und unseren Alltag nehmen. Dazu gehört vor allem die wertvolle und befreiende Erkenntnis, dass genügend Raum da ist für die Persönlichkeit und Meinung des Anderen und für meine. Es „umarmt die Unterschiede“, wie die Council-Lehrerin Virginia Coyle es treffend formuliert hat. So erweitert sich die Perspektive und wir können auch schwierigen Situationen offen begegnen und sie als Herausforderungen annehmen, ohne etwas oder jemand bekämpfen zu müssen.
Platz für unbequeme Wahrheiten
Jetzt können auch Wahrheiten ausgesprochen werden, die bisher zurückgehalten wurden oder unbemerkt blieben, und nun ob ihrer möglichen Sprengkraft von der Gemeinschaft gehalten und gehändelt werden können. Manchmal reicht es, sie einfach wahrzunehmen, manchmal erweisen sie sich als der fehlende Baustein, mit dem eine Entwicklung wieder in den Fluss kommt.
Wahre Verbundenheit
Wenn wir uns gestatten, so mit unserem Herzen zu hören, erkennen wir in dem Ringen des Anderen, seinem Schweigen, seiner Unsicherheit, seiner Traurigkeit, Freude und Tiefe unsere eigene und erleben wahre Verbundenheit. Wir können mitfühlen und erkennen die Teile des menschlichen Weges, den wir alle gemeinsam gehen.
Das Dach: Council als Prozess und Weg
Council ist ein Prozess, in den JedeR, auch als BegleitendeR, eintritt und ihn mitgestaltet: Mal ist er witzig, mal bewegend, mal herausfordernd. Doch immer geht es um die zutiefst menschliche Begegnung, um das wie-begegnen-wir-uns.
Ob es dabei um das Eintauchen in die aktuelle Erfahrungswelt eines Kindes oder die hochkomplexe Erarbeitung eines neuen Unternehmens-Konzeptes geht, ist letztlich nicht relevant.
Die innere Haltung als Wegweiser
Insofern ist Council eher eine Haltung als eine Methode. Ein lebendiger, facettenreicher und nachhaltiger Weg, tragfähige Beziehungen und damit eine tragfähige, friedliche und respektvolle Gemeinschaftskultur aufzubauen und zu pflegen.
Lassen wir uns darauf ein, können Lösungen, Wege und Erfahrungen entstehen, die, ohne Individualität und Verschiedenheit zu verneinen, über die Summe der Einzelnen hinausgehen.
Was es einzig braucht, ist Praxis.
Weshalb (jetzt)? – Brücken statt Mauern
Verbundenheit und Autonomie
Zwei unserer menschlichen Grundbedürfnisse sind die nach Verbundenheit und Nähe sowie nach Autonomie und (innerer) Entwicklung. Sie bedingen sich gegenseitig: Nur mit einem durch Verbundenheit und Nähe genährten Boden gehen wir das Wagnis der Autonomie ein, um uns selbst zu begegnen, ganz anzunehmen und unserer innewohnenden Kraft zu vertrauen. Nur in dem wachsenden Vertrauen und Wissen um die eigene sinnvolle Existenzberechtigung können wir nähren und zu einer gesunden Verbundenheit beitragen. Ein beständiges Geben und Nehmen.
Begegnung oder Ausgrenzung
Was jedoch dem aktuellen Zeitgeschehen entspricht und zugleich als Hauptursache sozialer Schwierigkeiten erkannt wurde, sind die stetig wachsende Isolation und Ausgrenzung – sowohl als Individuen als auch als Gesellschaften. Eine Folge der wettbewerbsorientierten Sicht, bei der der Fokus auf Trennendem statt Verbindendem liegt. Dadurch bleibt das Bedürfnis nach Verbundenheit ungestillt und dem Bedürfnis nach Autonomie fehlt der gesunde Boden, um – statt in Egoismus abzugleiten – Großzügigkeit, Mut, Unbestechlichkeit, Klarheit, Selbst-Bewusstsein zu entwickeln und unser Leben und unsere Gesellschaft aktiv, selbstverständlich und tolerant mitzugestalten.
So haben wir immer mehr den Kontakt verloren – zu uns selbst, unseren Gefühlen und unserer Intuition, den Anderen und der Erde.
In der Folge leben wir in dem Dilemma, aufeinander angewiesen zu sein und uns zugleich aus der Unsicherheit und Angst der Isolation heraus immer stärker voneinander abgrenzen zu müssen. Eine Spirale, die den „sicheren“ Raum immer kleiner werden lässt.
Die Türen wieder öffnen
Hier kann Council eine gute Möglichkeit bieten, „die Türen wieder zu öffnen“ und durch und mit dem Anderen zu lernen und zugleich Gemeinschaft zu erleben.
Was Council bewirkt
Die regelmäßige Praxis des Councils fördert und unterstützt
- aufmerksames und vorurteilsfreies Zuhören
- die Fähigkeit, sich ehrlich und mitfühlend auszudrücken
- unterschiedliche Sichtweisen zu akzeptieren
- eine wertschätzende, respektvolle Dialogkultur
- Geduld
- sich als Teil der Gemeinschaft zu erfahren
- Selbstwertgefühl und (Selbst-) Vertrauen zu stärken
- Beziehungen und Gemeinschaften zu stärken
- Konfliktsituationen und Krisen zu akzeptieren und konstruktiv zu bewältigen
- Entscheidungs- und Veränderungsprozessen konsensorientiert zu begegnen und so zu einer hohen Akzeptanz beizutragen
- Basisdemokratie zu praktizieren
- einen wertschätzenden Umgang mit der Erde
Grenzen im Council
Council bietet großartige Möglichkeiten, aber es wäre schade, wenn das Potential nicht ausgeschöpft werden könnte, weil es überfrachtet oder mit der Erwartung herangegangen wird, dass es auf eine bestimmte Weise „funktionieren“ muss.
Council ist keine ad-hoc-Lösung oder Therapie
Akute Konflikt-Situationen beispielsweise eignen sich weniger zum Kennenlernen des Councils. Da kochen die Emotionen generell schnell hoch und ein Zuhören fällt schwer, selbst wenn man Council-erfahren ist. In solchen Situationen ist es sinnvoll, zunächst einzeln mit den Parteien zu sprechen in der Form des so genannten „unterstützenden Zuhörens“ und die Teilnehmer schrittweise an die Praxis des Councils heranzuführen.
Ein Council kann auch keine Therapie oder ein Ersatz für eine Therapie sein und ist nicht der Rahmen, um beispielsweise akute Traumata zu bearbeiten. Und keiner sollte über seine Grenzen gehen oder meinen, etwas von sich preisgeben zu müssen. Dennoch kann es sein, dass ein(e) TeilnehmerIn von etwas Schmerzhaftem erzählt oder während des Erzählens an etwas Schmerzhaftes erinnert wird. Das kann ein aufmerksamer, stabiler Kreis jedoch erfahrungsgemäß tragen, ohne sich darin zu verlieren.
Ausnahmen der Vertraulichkeit
Grundsätzlich gilt die Vereinbarung, dass alles, was im Kreis besprochen wird, vertraulich ist. Ausnahmen bilden, zum Schutz aller, Anzeichen eines selbst- oder fremdgefährdenden Verhaltens oder, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, Hinweise auf Misshandlung. Auch das muss, vor allem bei regelmäßig geplanten Kreisen, vorab besprochen werden, damit nicht das fatale Gefühl eines Vertrauensbruchs oder Verrats entsteht, wenn in der Folge dessen, was erzählt wurde, ein Externer bzw. die Eltern informiert werden müssen.
Council ist geeignet für...
- Gruppen – Vereine, Teams, Soziale Einrichtungen, NGO‘s, Organisationen
- Kindertagesstätten
- (Offene Ganztags-) Schulen
- Berufsschulen
- Partnerschaften
- Familien
Ursprung des Councils
Council ist weltweit von Generation zu Generation aus alten Traditionen überliefert und selbstverständlicher Bestandteil dieser bis heute lebendigen Gesellschaftskulturen. Daher betonen die Council-Lehrer Virginia Coyle und Jack Zimmerman in ihrem Hauptlehrwerk auch: „Wir hatten nie einen Zweifel, dass die Praxis des Councils nicht das Geringste mit ‚NewAge‘ zu tun hat“. Es ist das Vermächtnis unserer Vorfahren, das den Menschen unserer Zeit zur Verfügung steht.
Jenseits einer speziellen kulturellen Einbettung wird es in Nordamerika seit über 30 Jahren erfolgreich u.a in Partnerschaften, Familien, Kindergärten, über 40 Schulen, Teams und Organisationen umgesetzt und gelebt.
Ableger und Variationen
In Deutschland bietet seit dem Sommersemester 2018 die Pädagogische Hochschule Karlsruhe in einem Kooperationsprojekt ein KinderCouncil an.
Auch in der Arbeitswelt werden respektvolle Kommunikationsformen immer mehr geschätzt:
Das Organisationsmodell der „Soziokratie“ beispielsweise beruht auf der Begegnung auf Augenhöhe, der Kreisstruktur, der Gleichwertigkeit aller Teilnehmer und dem Konsensprinzip.
Das so genannte agile Arbeiten, das sich aus der bereits seit Ende der 90er Jahre bestehenden agilen Softwareentwicklung ergab, beruht auf diesen Prinzipien und lässt sich flexibel und konkret von den jeweils aktuellen Entwicklungen eines Projekts und dem Bedarf nach Überarbeitung oder Korrektur leiten.
Open spaces ist ein erfolgreiches, überwiegend auf Selbstorganisation beruhendes Verfahren, um vielfältigstes Wissen gepaart mit Neugierde und Wertschätzung wie auf einem Marktplatz zu bündeln, auszutauschen und wieder neu zu formieren. Es wird innerbetrieblich u.a. für Planungen und Entscheidungsfindungen angewendet und trägt zu einer zufriedenstellenden Zusammenarbeit und einer vernetzten und zugleich eigenverantwortlichen und mit-leitenden Arbeitsstruktur bei.
Weshalb mir Council am Herzen liegt
Mit dem Entdecken des Councils öffnete sich für mich ein neuer Erfahrungsreigen. Da, wo vorher Kommunikations- und Dialogkonzepte Orientierung und Erklärungen gaben, ging es jetzt darum, sie loszulassen bzw. zu erweitern. Auch wenn ich den Kreis bis dahin als gute Form des Austausches und Zusammenseins erlebt und praktiziert hatte, hat diese Art eine Intensität, Freude und Ernsthaftigkeit gehabt, die die vielen guten Dinge, die ich zuvor gelernt hatte, in sich barg und zugleich darüber hinauszugehen schien.
Heute – nach vielen Council-Runden als Teilnehmerin und Leitung und Phasen von Euphorie und Verdruss – weiß ich um die großen Möglichkeiten und die transformative Kraft des Councils, solide Brücken zu bauen für gute Begegnungen.