Im Junitext von „Kleine Juwele“ hatte ich über den permanenten Wandel geschrieben, dem alle Dinge des Lebens unterworfen sind, einschließlich wir selbst, und der Feststellung, dass wir keine echte Kontrolle über diese Vorgänge haben, so sehr wir sie uns auch wünschen und sie uns in vielerlei Hinsicht versprochen wird.
Unsere echte Freiheit
Diese Feststellung ist richtig, aber nicht so ganz. Oder genauer, sie ist nicht vollständig. Es gibt sehr wohl einen Bereich, den wir „kontrollieren“ können, wobei ich es passender finde, es als die echte persönliche Freiheit zu beschreiben: Es ist die Entscheidung, wie wir dem aktuellen Moment und dem, was wir darin erfahren, begegnen, wie unsere innere Geisteshaltung dazu ist – ob wir das, was gerade ist, ablehnen und damit im Widerstand sind, oder ob wir es, so wie es ist, annehmen und damit in der Haltung der Akzeptanz sind. Meistens, angefangen bei kleinen Dingen, sind wir nicht einverstanden, mit dem, was ist: Es ist zu kalt, zu warm, etwas ist zu viel oder zu wenig, Jemand hat was Falsches gesagt, letztens war es schön und so soll es das nächste Mal wieder werden oder „erst noch …, dann…“. Wir bewerten und teilen die Dinge in gut und schlecht.
Welch ein Glück, welch ein Pech…
Es ist die Geschichte des chinesischen Bauerns, dem eines Tages sein einziges Pferd wegläuft, woraufhin alle im Dorf ihn bedauern. Einige Tage später kehrt dieses Pferd mit einigen weiteren zurück und alle im Dorf kommen und beglückwünschen ihn: „Wow, hast du ein Glück!“, woraufhin er erwidert: „Glück oder Unglück… wer weiß das schon.“ – Dann reitet sein Sohn eines der Pferde, fällt hinunter und bricht sich ein Bein. Wieder kommen sie aus dem Dorf und bedauern ihn: „Oh, du Armer, welch ein Pech.“, woraufhin der Bauer freundlich antwortet: „Wir werden sehen.“ Kurz danach bricht ein Krieg aus. Alle jungen Männer werden eingezogen, nur der Sohn des Bauern bleibt wegen seiner Verletzung zu Hause. Wieder kommen sie aus dem Dorf und sagen: „Oh, welch ein Glück du hast, dass dein Sohn bei dir bleiben kann.“ ….
Was ist so schlecht daran, zu werten und in Vergangenheit und Zukunft zu schwelgen?
Wir schlittern am Leben vorbei, verlieren Kraft in immer neuen konstruierten Geschichten und leiden, weil das Leben nicht so ist, wie wir es haben wollen.
Werten können wir immer nur in Bezug zu etwas. Wir müssen also einen künstlichen Rahmen stecken, der das meiste ausklammert und mit Bezugspunkten, die wir bereits kennen. Das übertragen wir dann auf das Ganze. Es soll Sicherheit geben und die Welt berechenbar machen, verkennt jedoch die enorme Komplexität des Lebens und verhindert unsere persönliche wie eine allgemeine Entwicklung, die Veränderung zulässt und aus der Fülle der Möglichkeiten schöpft.
Der chinesische Bauer, akzeptiert mit stoischer Ruhe, was ihm widerfährt, ohne es zu bewerten, wohlwissend, dass sich die Dinge jederzeit verändern. So bleibt er in seiner seelischen Balance und kann dem, was ist, mit größtmöglicher Aufmerksamkeit und Kraft begegnen.
Das ist exakt der Bereich unserer Freiheit, den wir uns zurückerobern und in dem wir üben können: Wir nehmen an, was das Leben uns gibt und übernehmen dadurch wieder die Verantwortung für unser inneres Wohlbefinden, statt etwas Externes – die Umwelt, den Staat, andere Menschen – für unseren Gefühlszustand verantwortlich zu machen; respektieren ob der Vielschichtigkeit des Lebens, dass wir es nicht kontrollieren können und indem wir unsere Kraft bewahren und vermehren, können wir immer gelassener und präsenter im jetzigen Moment sein.
Obwohl wir die Kontrolle loslassen, bestimmen wir jetzt mehr als zuvor, wie unser Leben ist: Es bekommt Tiefe, Freude, Zufriedenheit, Einfachheit.
Innere Zufriedenheit führt zu weniger Konsum
Jedoch auf eine völlig andere Weise, als das, was uns in unserer auf das Außen ausgerichteten Gesellschaft als Freiheit verkauft wird. Ich denke, es könnte sehr hilfreich sein, dieser echten Freiheit in unserem Bildungssystem wie unserer Gesellschaft mehr Raum zu geben, um innerlich zufriedener zu werden. Allerdings würden wir dann weniger konsumieren, denn dafür brauchen wir ja ein Gefühl des „nicht-zufrieden-seins“. Oder wir gehen dieses Risiko ein und überlegen, wie wir diese in jeder Hinsicht zerstörerische Kultur des Konsums überwinden und ehrlich für eine soziale Gerechtigkeit und ein achtsames Umgehen mit der Erde in den Dialog treten.
Und das wäre der letzte Punkt… mit der Zeit beginnen sich auch die Dinge im Außen zu verändern. In dem Sinn gibt es offenbar doch eine Form der Kontrolle, aber…. wer weiß das schon ; ), wir müssten es ausprobieren. Ich bin dabei!