Sitzen wir bewusst in einem Kreis und lauschen unseren Geschichten zu einer bestimmten Frage, ist er immer dabei: der Redestab oder Redegegenstand. Von außen betrachtet macht er sichtbar, wer gerade spricht und wer zuhört. In seiner tieferen Bedeutung unterstützt er den Sprechenden, seine Aufmerksamkeit zu sammeln, zur Ruhe zu kommen und dass in diesem Moment Wesentliche zu sagen, also dass, was jenseits von Gedankengängen wie „Ah, ich weiß schon, was ich gleich erzähle, ich hoffe, ich behalte das, bis der Stab bei mir ist…“ wirklich gesagt werden will. Wenn wir uns darauf einlassen, kann es sein, dass wir hinterher überrascht feststellen, dass wir etwas ganz anderes erzählt haben, als „gedacht“. Das ist weniger unverhältnismäßig intim, als dass es persönlich ist, etwas, was wir alle als Zuhörer*innen nach- und mitfühlen können und uns berührt. Solche Geschichten zeichnen sich meist dadurch aus, dass alle spüren, dass gerade etwas besonderes geschieht, eine glitzernde Spannung, aufmerksames Zuhören und im Anschluss ein Moment der Stille.
Auf einem Workshop zum Beispiel erzählte ein junger Mann in einer Runde auf die Frage „Gibt es eine Geschichte aus deinem Leben, die deine Beziehung, deine Verbundenheit zur Erde widerspiegelt?“, dass er gerade letztes Wochenende auf dem Grundstück seiner Großeltern war, auf dem er als Kind häufig war und auf einen bestimmten Baum geklettert ist, den er lebhaft in Erinnerung hatte. Das Grundstück war verkauft worden und in Kürze neu bebaut werden und es war klar, dass er zum letzten Mal da war und Abschied nehmen musste. Obwohl er jetzt erwachsen war, wurde ihm in diesem Besuch bewusst, dass der Boden an diesem speziellen Ort auch einen Teil seiner Geschichte verkörperte, den er von nun an nur noch in seinem Herzen tragen konnte, nicht mehr direkt besuchen und anfassen. Er erzählte auch, dass er in dem Moment verstanden hätte, was es heißt, mit einem Ort verbunden zu sein. Diese Erkenntnis und seine Berührung waren deutlich spürbar, während er sprach und alle Menschen in diesem Kreis haben es gefühlt und zugleich diesen Teil seiner Lebensgeschichte bezeugt. Es war eine persönliche Geschichte, die allen diente, in dem sie eine tiefere Weisheit verkörperte.
Der Redestab als Symbol für innehalten und zuhören
Habe ich das so erzählen wollen an dieser Stelle? Wer weiß 😉 Aber vielleicht verdeutlicht es, dass es eine Kraft ist, – Energie –, die gemeinsam, im Kreis und eben auch in dem Redegegenstand, dem Redestab vorhanden ist und in ihrem Anwenden und Wahrnehmen lebendig wird. Ähnlich wie bei einem Kulturgegenstand oder einem Kraftgegenstand, der irgendwann mal entstanden ist, dem je nach Nutzung eine bestimmte Bedeutung zugesprochen wurde und der an Ausdruckskraft gewinnt, je länger und intensiver er genutzt wird, je mehr Menschen sich darauf geeinigt haben.
Einen Redestab wählen
Als Redegegenstand kann alles genommen werden, was für die jeweilige Gruppe eine Bedeutung hat. Je klarer es die Gruppe widerspiegelt, je heiliger er ist, könnte man sagen, desto mehr unterstützende Kraft entfaltet er, die Aufmerksamkeit im Kreis zu erhöhen.
Das kann ein Gegenstand sein, der bereits da ist. Genauso kann es ein kraftvoller Ausdruck der gemeinsamen Zeit sein, zusammen einen Redegegenstand zu gestalten, wenn sich eine Gruppe entschlossen hat, regelmäßig im Kreis zusammenzukommen, – in einem Team zum Beispiel oder einer Schulklasse.
Auch bei einem Workshop ist es ein guter Einstieg, den Redegegenstand zusammen zu bauen. Einmal beispielsweise waren Feder, Steine und Holzstücke für ihn aus der umgebenden Natur gesammelt und auf kreative Weise stabil verbunden worden; dennoch fiel er nach ein paar Tagen, pünktlich zum Ende des Seminars, mehr und mehr auseinander, unter lauten Lachern und immer wieder Zusammensuchen der Einzelteile. Ein wunderbarer Spiegel, das alles gesagt war.
Es ist also ein bisschen wie bei Harry Potter: ob es ein kleiner, dezenter Gegenstand ist oder ein stattlicher Stock mit Schnitzereien und Bändern – verbunden mit dem, der ihn hält und den entsprechenden Worten wohnt ihnen eine große Kraft inne.
