Ich bin das unterdrückte Kind,
rufe zu allen Herzen,
rufe zu der ungerechten Welt.
Ich rufe, und ich werde weiter rufen,
schreien und sagen:
Ich will in mein Land zurückkehren.
Ich bin das unterdrückte Kind,
ich bin das beraubte Kind,
ich bin das Kind, das der Welt immer wieder sagt:
An jene, deren Herzen zu Stein geworden sind,
deren Gewissen gestorben und zerbrochen sind.
Keine Worte oder Sätze können das Ausmaß der Unterdrückung beschreiben,
die ich und die Kinder von Gaza erleiden.
Sie haben unsere Träume zerstört,
unseren Schlaf mit Bomben und Schießpulver, Armut und Belagerung erschüttert.
Ich frage die Welt:
Kann sich jemand seine Familie, sein Land,
sein Leben oder seinen Tod aussuchen?
Antwortet uns!
Antwortet uns, Staatsoberhäupter der Welt.
Antwortet uns mit Worten der Gerechtigkeit,
doch insgeheim haben sie uns verraten.1
Dieses Gedicht schrieb die elfjährige Elin. Sie lebte zu diesem Zeitpunkt mit ihren Eltern und ihrem Bruder in einem der Geflüchtetenlager in Gaza.
.
Ein Drittel der Getöteten sind Kinder
Seit Dienstag, 18. März 2025, begann eine neue, ausgeweitete Militäroffensive der israelischen Armee im Gazastreifen. Innerhalb der ersten Nacht wurden dabei mehr als 400 Menschen getötet, darunter viele Kinder.2 17.000 seit Oktober 2023, über 50.000 Menschen insgesamt, mit weit über hunderttausend Verletzten. Nur noch wenige Krankenhäuser sind funktionsfähig; es droht eine Hungersnot für zwei Millionen Menschen, während Wasser- und Stromleitungen unterbrochen sind und die Grenzen auf Anordnung der Regierung Netanjahu für Nahrungs- und medizinische Hilfslieferungen geschlossen wurden.3 Kürzlich konnten nach mehr als zwei Monaten einige wenige Hilfslieferungen die Grenzen passieren – zu wenig, um zu verhindern, dass im Kampf um sie weitere Menschen getötet wurden. Eine unmenschliche Situation, eine humanitäre Katastrophe.
Das Recht auf Hilfe ist nicht verhandelbar
Der jüdische Soziologe Jarif Moha bezeichnete die aktuelle Situation als „ethnische Säuberung mit dem Werkzeug Hunger und Vertreibung“4.
Der UNO-Nothilfekoordinator Tom Fletcher prangert bei einer Rede Anfang Mai im UNO-Sicherheitsrat Israels Blockade humanitärer Hilfsmaßnahmen im Gazastreifen mit scharfen Worten an und fragt: „Wir müssen diesen Genozid verhindern. Welche Beweise brauchen Sie noch?“5
Die Nothilfeorganisation medico international hat einen Aufruf über Plakate und Postkarten gestartet mit der bedrückenden Aufschrift: „EINES TAGES WERDEN ALLE IMMER SCHON DAGEGEN GEWESEN SEIN“ und dem Appell: „Vor aller Augen geht das Töten in Gaza weiter. Wer die Menschenrechte dort nicht verteidigt, wird sie auch hier verlieren. Sprechen Sie darüber. Nicht eines Tages. Jetzt.“6
Und die kürzlich verstorbene KZ-Überlebende Margot Friedländer, die bis zu ihrem Tod und über viele Jahre in Schulen und Interviews über ihre Erfahrungen sprach, mahnte immer wieder und bis zu ihrem Tod eindringlich: „Seid Menschen! Es gibt kein christliches, kein jüdisches, kein muslimisches Blut – es gibt nur menschliches Blut. Seid Menschen!“7
„Wir sind Menschen!“
Grauen kann durch zigfaches Grauen nicht ausgeglichen werden. Es ist unmenschlich, was im Oktober 2023 in Israel passierte, es ist unmenschlich, was jetzt in Gaza geschieht, – vom Hass der Anführer geprägt auf beiden Seiten, durch nichts zu rechtfertigen und durch nichts zu erklären.
Dass wir hier, dass die deutsche Regierung Schwierigkeiten hat, dieses Unrecht, diesen Völkermord zu benennen, ist nachvollziehbar und unverständlich zugleich. Es braucht Besonnenheit und Sensibilität, selbstverständlich, sobald Situationen die nationalsozialistische Vergangenheit und Israel betreffen; aber es braucht auch den Raum, um zu ermöglichen, dass wenn ein israelischer Ministerpräsident zu einem Verbrecher wird8, einen Schritt zurückzutreten und die Aufmerksamkeit auf das Handeln des Anderen zu richten, was es de facto bestimmt, statt durch einen Filter auf das Geschehen zu gucken, bei dem nicht ist, was nicht sein darf und wir in der großen Angst, das Falsche zu sagen und zu tun, nicht mehr wahrnehmen können, was tatsächlich passiert – eben weil wir diese Geschichte haben. Sonst lassen wir weiter zu, dass vor unseren Augen völkerrechtliches Unrecht passiert und wir nichts dagegen tun.
Etwas, was wir aus der unaussprechlichen Unmenschlichkeit des nationalsozialistischen Regimes mitgenommen haben müssen, ist, uns vorbehaltlos und entschlossen für Menschlichkeit einzusetzen, das Bewahren von Menschlichkeit und Würde und gegen jede Form von Ausgrenzung, Genozid und Völkermord einzutreten. So, wie es in unserem Grundgesetz steht und so, wie es von den Ländern, wie es von der Bundesrepublik Deutschland und auch Israel als Mitglieder der Vereinten Nationen, der Weltengemeinschaft, mit der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“9 einmal anerkannt wurde.
1www.plan.de/magazin/artikel/weltgeschichten/gaza-kinder-zwischen-hoffnung-und-angst.html
2 www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/israels-angriffe-auf-gaza-ende-der-waffenruhe-und-die-folgen,UfoMsKb
3 https://www.morgenpost.de/politik/article408759329/deutscher-arzt-in-gaza-noch-dabei-alles-zu-verarbeiten.html
4Shortcut-Podcast Spiegel vom 16.Mai 2025: https://www.spiegel.de/ausland/israels-neue-offensive-in-gaza-wer-stoppt-netanyahu-podcast-a-968c9930-03c0-4a64-bafa-d96a6a2c97fc
5Ebd. Fußnote 3; https://www.msn.com/de-de/politik/beh%C3%B6rde/welche-beweise-brauchen-sie-noch-netanjahu-k%C3%BCndigt-gaza-offensive-an-un-warnt-vor-v%C3%B6lkermord/ar-AA1EJxjX
6https://www.medico.de/kampagnen/eines-tages-werden-alle-schon-immer-dagegen-gewesen-sein?mtm_campaign=nl_20067
7https://www.bpb.de/themen/deutschlandarchiv/506886/margot-friedlaender-ich-spreche-fuer-die-die-nicht-mehr-sprechen-koennen/
https://www.nationalgeographic.de/geschichte-und-kultur/2025/05/seid-menschen-wer-war-margot-friedlaender
8https://www.amnesty.de/aktuel/israel-palaestina-haftbefehle-netanjahu-gallant-deif-kriegsverbrechen-internationaler-strafgerichtshof-istgh; https://www.dw.com/de/welche-folgen-hat-ein-istgh-haftbefehl-gegen-netanjahu/a-68951386
9https://unric.org/de/allgemeine-erklaerung-menschenrechte/