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Ein glückliches Neues Jahr 2025

Frau in rotem Pullover sitzt vor einem großen Baum im Gras

Die Träger der Träume – von Gioconda Belli

Alle Prophezeiungen
sagen die Zerstörung der Welt voraus.

Alle Prophezeiungen sagen,
dass der Mensch sich selbst zerstören wird.

Aber die Jahrhunderte und das Leben, das sich stets erneuert,
zeugte auch eine Generation von Liebenden und Träumenden,
Männer und Frauen, die nicht von der Zerstörung der Welt träumten,
sondern von dem Aufbau einer Welt der Schmetterlinge und Nachtigallen.

Von Kindheit an zeichneten sie sich durch Liebe aus.
Hinter ihrer äußeren Erscheinung
bewahrten sie die Zärtlichkeit und die Mitternachtssonne.
Ihre Mütter fanden sie, als sie um einen toten Vogel weinten
und später fanden sie auch viele von ihnen tot wie Vögel.

Diese Wesen schliefen mit durchscheinenden Frauen
und sie ließen sie schwanger mit Honig und sprießenden Kindern zurück,
für einen Winter voller Zärtlichkeiten.

Auf diese Weise vermehrten sich die Träger der Träume auf der Welt,
grausam attackiert von den Trägern der Prophezeiungen des
Untergangs, Sprechern der Katastrophen.
Sie bezeichneten sie als illusionär, romantisch, utopisch.
Sie sagten, dass ihre Worte alt seien
– und das waren sie tatsächlich, denn die Erinnerung an das Paradies
ist alt im Herzen der Menschen –
diejenigen, die Reichtümer anhäufen, hatten Angst vor ihnen
sie hetzten ihre Streitkräfte auf sie,
aber die Träger der Träume liebten sich jede Nacht
und aus ihren Körpern spross der Samen,
der nicht nur die Träume trug, sondern diese auch vermehrte,
sie laufen und sprechen ließ.

Auf diese Weise zeugte die Welt von Neuem ihr Leben,
wie sie auch die erzeugt hatte, die das Mittel erfanden,
die Sonne auszuschalten.

Die Träger der Träume überlebten in eisigem Klima,
aber in heißem Klima sprossen sie geradezu wie eine spontane Generation.
Vielleicht haben die Palmen, der blaue Himmel, die strömenden
Regengüsse etwas damit zu tun.
Die Wahrheit ist, dass diese Menschenart wie fleißige Ameisen
nie aufhörte zu träumen, liebenswerte Welten zu bauen,
Welten von Brüdern, von Frauen und Männern,
die sich compañeros nannten, die sich gegenseitig lesen und schreiben
beibrachten, sich im Tod trösteten, sich gesund pflegten und
aufeinander aufpassten,
die sich liebten, sich halfen, in der Kunst des Liebens
und der Verteidigung des Glücks.

Sie waren glücklich in ihrer Welt des Zuckers und des Windes
Und aus allen Himmelsrichtungen kamen Menschen,
um ihren Atem und ihren klaren Blick in sich aufzusaugen;
und diejenigen, die sie kennengelernt hatten, strömten in alle Richtungen,
Träume in sich tragend,
von neuen Prophezeiungen träumend;
sie sprachen von Zeiten der Schmetterlinge und Nachtigallen,
in denen die Welt nicht in einem Gemetzel enden müsse,

in denen – im Gegenteil – die Wissenschaft
Quellen, Gärten, überraschende Spiele erfinden würde,
um das Glück der Menschen zu vergrößern.

Sie sind gefährlich – druckten die großen Zeitungen
Sie sind gefährlich – sagten die Präsidenten in ihren Reden
Sie sind gefährlich – murmelten die Urheber der Kriege

Sie müssen zerstört werden – druckten die großen Zeitungen
Sie müssen zerstört werden – sagten die Präsidenten in ihren Reden
Sie müssen zerstört werden – murmelten die Urheber der Kriege

Die Träger der Träume wussten um ihre Macht
Und deswegen wunderten sie sich nicht.
Und sie wussten auch, dass das Leben sie erzeugt hatte,
um sich vor dem Tod zu schützen, den die Prophezeiungen verkündeten.
Und deswegen verteidigten sie ihr Leben – sogar mit dem Tod.
Und deswegen legten sie Gärten mit Träumen an,
und sie exportierten sie mit großen bunten Schleifen

Und die Propheten der Dunkelheit verbrachten ganze Tage und Nächte
damit, Durchgänge und Wege zu bewachen,
um diese gefährliche Ladung zu fangen,
die ihnen niemals ins Netz ging,
weil sie diejenigen, die keine Augen zum Träumen haben
weder die Träume des Tages, noch die der Nacht sehen.

Und in der Welt hat ein großer Traumhandel begonnen,
den die Händler des Todes nicht aufhalten können;
und überall gibt es Pakete mit großen Schleifen
die nur von diesem neuen Menschengeschlecht gesehen werden
und der Samen dieser Träume ist nicht zu entdecken,
weil er in roten Herzen verpackt ist
oder in großen Kleidern der Mutterschaft
in denen die Füßchen der TräumerInnen Unruhe stiften
im Bauch, der sie trägt.

Es wird gesagt, dass die Erde nach deren Geburt
Einen Regenbogenhimmel zeigte
Und die Wurzeln der Bäume neue fruchtbare Triebe bekamen.

Wir wissen nur, dass wir sie gesehen haben.
Wir wissen, dass das Leben sie gezeugt hat,
um sich vor dem Tod zu schützen,
den die Prophezeiungen des Untergangs verkünden.

Gioconda Belli ist nicaraguanische Schriftstellerin, Lyrikerin und eine der bekanntesten lateinamerikanischen Autorinnen. Sie setzt sich seit Jahrzehnten aktiv für soziale Gerechtigkeit ein, kämpft für Freiheit und Demokratie, auch und vor allem in ihrem Land „gegen die mit diktatorischen Mitteln agierende Regierung von Daniel Ortega“ (Beschreibung Peter Hammer Verlag). Dafür wurde sie mehrfach international ausgezeichnet.


Für 2025 wünsche ich Ihnen, dir und uns das Glück der inneren Zufriedenheit, Gesundheit und dass wir uns den Mut zurückerobern, zu träumen. Dass wir uns dabei helfen, uns zu erinnern, was möglich ist, um gemeinsam eine bessere und gerechte Welt zu entwerfen, sie uns immer konkreter vorzustellen und unermüdlich und voller Zuversicht Schritt für Schritt ins Leben zu holen; auch den Mut, das ganze Bild zu betrachten, das uns zweifelsfrei zeigt, dass es schon sehr lange Zeit ist, innezuhalten und dass das Anerkennen dessen gute Energien freisetzen würde.

Es sind im Verhältnis nur wenige, die von unserem aktuellen System profitieren und je genauer wir hingucken, desto weniger werden es. Zugleich gibt es viele, während wir hier noch verhältnismäßig ruhig in unseren Betten schlafen können, die unter ungerechten Regimen kämpfen – oftmals solchen, von denen unsere Länder Rohstoffe beziehen. Sie machen auf die Folgen aufmerksam und stemmen sich gegen den Raubbau und die Zerstörung der Erde, weisen auf die Vergiftung von Böden und Flüssen hin und demonstrieren für soziale Gerechtigkeit.

Wie der junge Brigadist in Lateinamerika, der kürzlich sehr bewegt berichtete, dass die Regierung eines dieser Regime ihn anklagte, ein Terrorist zu sein und ihm die Gegenstände, die er bei einer Demonstration bei sich hatte – eine Gasmaske, falls Tränengas eingesetzt werden sollte wie so oft zuvor und medizinisches Material zur Erstversorgung Verletzter – als Beweisstücke dafür vorgehalten wurden, – ein Vorgehen, das lawfare genannt wird und weit verbreitet ist. Nach neun Monaten wurde bei ihm als einem von wenigen die Anklage fallengelassen. Oder wie die indigenen Umweltschützer, von denen viele ihren Einsatz mit dem Leben bezahlen und Jahr für Jahr die höchste Ermordungsrate weltweit aufweisen.

Ich wünsche mir, dass wir all das, weil es zusammenhängt und wir ein wesentlicher Teil davon sind, gemeinsam nicht gutheißen und es so meinen und zum Anlass nehmen, uns zusammenzusetzen und zu überlegen: „Wie wollen wir leben, wie kommen wir aus der Konsumspirale heraus, wie können wir hier, an den Orten, an denen wir leben, zu einem Umschwung hin zu einem menschlicheren Zusammenleben beitragen?“ Nicht weil wir fertige Lösungen in der Tasche haben – wie könnten wir, sondern weil wir in unserem Innersten fühlen, dass es so nicht weiter gehen kann und wir uns eine andere, eine liebevollere Welt wünschen. Und dass wir uns dann erst mal zuhören, unseren vielen verschiedenen Geschichten dazu, und langsam erkennen, dass dies und das (gemeinsame) Träumen ein wesentlicher Teil eines solchen Wandels sind, – weil dadurch unser Herz wieder heilt, das Vertrauen wächst, die Wurzeln zur Erde wieder lebendig werden und ganz nebenbei das drängende Gefühl, beständig etwas zu brauchen, zur Ruhe kommt.

Auf dass der Mut dazu und der Wille unbeirrbar in uns allen wächst. Das ist mein Traum!

Ein gutes Jahr!

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